Zwischen Herbergssuche, Sperranlagen, arabischen Märkten, und Geburtskirchenkitsch.
(Graffiti von zwei Engeln an der Sperranlage der Westbank.)
"Lasst uns hinüber nach Bethlehem gehen!". Anders als die Hirten, denen dieses Lied in den Mund gelegt wurde, konnten wir Studis dankenswerterweise mit dem Bus von Jerusalem nach Bethlehem fahren. Doch nur bis zum Checkpoint 300. Dort hieß es aussteigen, denn in das Westjordanland fährt dieser Bus nicht. Stattdessen muss man zu Fuß durch eine Sicherheitsanlage hinüber in das Gebiet, das von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet wird.
Wenn man aus dem Checkpoint herauskommt, muss man sich erst mal der unendlich vielen Taxifahrer erwehren, die einem ihre Dienste anbieten wollen. Wohin man möchte? Das ist ja klar, zur Geburtskirche, die den Ort markiert, an dem Jesus vor knapp 2000 Jahren das Licht der Welt erblickt haben soll.
Wer sich für den Fußweg entscheidet, kann ein Stück lang an der Sperranlage entlanggehen. Gerade dieser Abschnitt entlang der etwa 9 Meter hohen Mauer hat internationale Aufmerksamkeit erlangt, denn hier kann man ein Zimmer im Hotel mit der berühmten "schlechtesten Aussicht der Welt" buchen. Das "Walled Off Hotel" ist ein als Gastbetrieb voll funktionsfähiges Kunstwerk, an dem auch der Graffitikünstler Banksy mitgewirkt hat, um auf die Situation der Palästinenser*innen im Westjordanland aufmerksam zu machen. Doch nicht nur Banksy hat die hohen Betonwände als Leinwand genutzt, viele andere Künstler*innen und Aktivist*innen sprühen, malen, und kritzeln ihre Botschaften auf den grauen Untergrund.
(Weltberühmte Friedenstaube des Graffiti-Künstlers Banksy.)
Nun ist es Zeit, diesen Teil des Weges hinter sich zu lassen. Wir gehen auf das Zentrum zu, bis wir schließlich auf die "Star Street", benannt nach dem Stern, dem die drei Weisen folgten, einbiegen, um in die Altstadt zu kommen. Hier wird die Atmosphäre schon deutlich freundlicher. Die ersten Läden haben bereits ihre Türen geöffnet, man riecht arabischen Kaffee und die Marktschreier machen die ersten Aufwärmübungen.
Und endlich haben wir das Ziel unserer kleinen Pilgerfahrt erreicht: Die Geburtskirche. Ein Ort, der, wenn man Origenes Glauben schenkt, schon seit dem 3. Jahrhundert von Pilger*innen aufgesucht wird und als Jesu Geburtsstätte verehrt wird.
Dass diese Stätte eine lange Geschichte durchgemacht hat, merkt man schon an der Architektur. Unterschiedliche Torbögen und Stützpfeiler bezeugen die Zeit Konstantins, Justinians, der Kreuzfahrer, der Mamluken und der geteilten Obhut der großen christlichen Konfessionen, die bis heute Status Quo ist.
(Der Turm der Geburtskirche)
Durch das "Tor der Demut" bücken wir uns und betreten den riesigen Vorraum der Geburtskirche. Schon schlägt einem der Geruch von Weihrauch und die gedämpften Stimmen der Pilger*innen entgegen. Eine weitere Tür und wir sind im Hauptschiff der Kirche angelangt. Der Blick wird erst nach vorne gezogen, zu einem silber-goldenen Gewirr von Öllampen, Weihnachtskugeln, Kronleuchtern, ausladender Dekorationen, und liturgischem Gerät.
(Der Altarraum der Geburtskirche.)
Mit einer mitteleuropäischen (katholischen) Kirche hat dieser Ort so gut wie nichts gemein. Statt ausladenden barocken Bauten oder hochstrebenden Gotikkirchen findet man hier unterschiedliche Epochen, wild miteinander verwoben: Überreste von goldenen Mosaiken, die die großen Konzilien bezeugen, Heiligendarstellungen aus dem 11. und 12. Jahrhundert, arabische Inschriften aus der osmanischen Zeit, Ikonen und Kunstwerke aus dem 20. und 21. Jahrhundert.
Und trotz dieser scheinbaren Unordnung hat hier alles seinen Platz. Man nehme die Öllampen zum Beispiel. So dürfen die Griechisch-Orthodoxen sechs davon aufhängen, ebenso wie die Armenier, doch die Lateiner haben nur Anrecht auf zwei Leuchter. Ihnen gebührt dafür der Platz am Dreikönigsaltar und der Stern unter dem Geburtsaltar. Dafür, wiederum, gehört den Griechen der Hauptaltar und die rechten Seitenaltäre, die linken gehören aber den Armeniern. In ähnlicher Weise ist auch geregelt, wann wer wo wie lange Messe feiern darf.
Diese Regelungen gehen zurück auf das Jahr 1757, wo die Hohe Pforte der osmanischen Regierung eingreifen musste, um Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Konfessionen um diese Kirche zu befrieden. Und seitdem hat auch niemand an diesem Status Quo gerüttelt.
Mit all diesen Informationen ist nun auch endlich die Wartezeit überbrückt. Endlich können wir den schmalen Gang zur Geburtsgrotte hinuntersteigen. Rechts markiert ein silberner Stern die Stelle, an der Jesus zur Welt gekommen sein soll. Links kann man noch ein paar Stufen hinabsteigen und an dem Ort stehen, an dem die Krippe ihren Platz gehabt haben soll. Ein andächtige Atmosphäre beherrscht diese wohl am schlechtesten belüftete Kirche der Welt: Leises, ergriffenes Murmeln, der Duft von Weihrauch, der aus dem Hauptschiff nach unten steigt, betende Menschen und gesenkte Häupter.
Doch die Pilger*innen haben nur Zeit für eine Verbeugung, ein hastiges Berühren des silbernen Sternes und das kürzeste aller Stoßgebete - denn hinter einem warten wohl etwa hundert andere Menschen, die ebenfalls einen Blick auf diesen besonderen Ort erhaschen wollen. Und sollte man sich doch zu viel Zeit lassen, ermahnt ein Security, sich zu beeilen: "Kiss and go, kiss and go!".
(Der Ort von Jesu Geburt, markiert durch einen silbernen Stern.)
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