In Schichten denken! Das lehrt uns die Archäologie. Wieviele Schichten, und wie kompliziert das eigentlich wirklich ist, durften wir diese Woche in der Vorlesung "In Search of Ancient Jerusalem" hautnah erleben.
Unsere Vorlesung begann mit einer Einführung in die Geschichte der Archäologie der Stadt und einer umfangreichen Geographiestunde. Aber nach so viel theoretischer Vorbereitung fieberten wir vor allem schon auf den tatsächlichen Besuch der Stätten hin. So trafen wir uns in der sogenannten Davidstadt, südlich des Tempelbergs, mit Dr. Roth, die uns durch die Ausgrabungen führte, welche so eingängige Namen hatten wie "stepped stone structure" und "large stone structure". Doch uns war schnell klar, wie wichtig es ist, bei solchen abstrakten Namen zu bleiben - denn Deutungen wie "der Palast des Königs Davids" sind oft hoffnungsvolle Umschreibungen, die noch dazu meistens im Dienst eines bestimmten Narrativs stehen. Da ist es doch besser, so nah wie möglich an den Fakten zu bleiben, denn diese sind auch ohne glamouröse Deutungen unglaublich faszinierend: Eine aufregende Entdeckung, die momentan in aller Munde ist, sind etwa die Krüge, die, wie eine Untersuchung ergeben hat, mit Wein gefüllt waren, welcher mit Vanille gewürzt war. Da Vanille hier nicht wächst, muss sie von weit her transportiert worden sein - ziemlich luxuriös für das 6. Jahrhundert vor Christus!
Ein ganz besonderer Ausflug war auch jener zur "stepped street" (künstlerische Darstellung oben abgebildet). Die stepped street war eine Pilgerstraße, die zwischen etwa 30 bis 70 v.Chr. vom Siloambecken zum Tempel hinaufführte. Diese Straße gibt es auch heute noch - doch nun befindet sie sich unter der Erde, unter der sogenannten Davidstadt.
Auch heute kann man ein Stück auf dieser römischen Straße flanieren - und sich dabei anstatt der Metallkonstruktion und der künstlichen Beleuchtung ein lebendiges Treiben vorstellen, Pilger*innen die zum Tempel hochsteigen, an Straßen, die gesäumt sind von Verkaufsständen und Rednern. Doch irgendwann müssen die Tagträume zu einem Ende kommen, denn die Ausgrabungen sind noch in vollem Gange und die Straße noch nicht komplett freigelegt. Doch das ist kein Problem, denn man kann leicht ausweichen - ins antike Abwassersystem.
Wer diese Abzweigung nimmt, dreht die Fantasie nun besser etwas zurück - was hier vor 2000 Jahren durch den Kanal schwemmte möchte wohl keine*r so genau wissen. Heute ist das Abwassersystem relativ gut befestigt und wer bereit ist, sich hin und wieder etwas kleiner zu machen, kommt hier gut durch. Dabei kann man den Blick auch hin und wieder nach links und rechts schweifen lassen, wobei man immer wieder kleinere Gänge entdeckt. An der Wölbung der Decke lassen sich die Gänge auch gut datieren und in Bauphasen einteilen, und so lässt sich schon erahnen, wie kompliziert und weitgehend dieses Netz sein muss. Und da kommt die Fantasie doch wieder ins Rollen - denn im jüdisch-römisch Krieg haben sich in diesem Abwassersystem jüdische Rebellen versteckt, und das wohl auch über längere Zeit hinweg, bis der Krieg sein blutiges Ende gefunden hat.
Bei dieser Vorstellung ist man wohl froh, wenn man wieder an der Oberfläche auftaucht - direkt an der Westmauer des Tempelbergs. Doch sobald man aus dem Tunnel steigt und sich etwas umsieht, entdeckt man auch hier Spuren dieser Auseinandersetzung.
Hier ist im Zuge der endgültigen Eroberung Jerusalems durch die Römer 70 n.Chr. der sogenannte "Robinson Arch", ein Bogen an der Westmauer des Tempelbergs, zusammengestürzt und hat die Straße zertrümmert. Die Steinblöcke, Zeugen der Verwüstung, sind bis heute an diesem Ort.
Schließlich besuchten wir noch eine der größten aktiven Ausgrabungen des Landes, die sich fast mitten in der Stadt befindet: Givati Parking Lot.
Hier sprechen die Ausgrabungen eine etwas andere Sprache. Genauer gesagt, viele Sprachen, denn sie zeugen von mehreren Jahrhunderten, von den Persern, über die Römer, bis hin zu frühen muslimischen Siedlungen. Gefunden wurde dort Allerlei: Goldmünzen, Perlen, Schmuck und Elfenbein. Dabei sollen ein Komplex so prachtvoll gewesen sein, dass er der zum Judentum konvertierten Königin Helene gehört haben soll - wohl eine weitere märchenhafte Zuschreibung.
(Am Ende des Studienjahres werden wir alle topfit sein im Bauplan lesen!)
Abschließend lässt sich sagen, dass die archäologische Arbeit in Jerusalem noch komplizierter scheint als an anderen Ausgrabungen.
Das liegt einerseits daran, dass die Geschichte hier nicht schön nacheinander in den Schichten der Erde lagert, sondern dass sie stark ineinandergreift, sei es durch Weiterbauten oder Wiederverwendung.
Andererseits liegt es aber auch an der komplexen politischen und religiösen Situation:
Es muss besondere Achtsamkeit walten, um nicht die religiösen Gefühle anderer zu verletzen. So darf etwa am Al-Haram Asch-Scharif, dem Tempelberg, nicht gegraben werden. Oder unter dem Vorplatz der Klagemauer wird eine Synagoge gebaut, um die Sphäre der Gebete von der der Ausgrabungen an den Grundfesten der Mauer zu trennen.
Und darüber hinaus ist immer ein hohes Niveau an wissenschaftlicher und methodischer Reflexion gefragt: Es ist zwar lange nicht mehr üblich, mit der Bibel in der einen und dem Spaten in der anderen Hand Archäologie zu treiben - doch das bedeutet nicht, dass die Archäologie vor vorschnellen ideologischen Zuschreibungen und religiösen Hoffnungen gefeit ist.
Alles in allem heißt das, dass es spannend bleibt für uns Studis, denn in dieser intensiven Woche haben wir zum ersten Mal richtig Archäologie-Luft geschnuppert und freuen uns schon auf die vielen Exkursionen, die noch kommen!
(Wir Studis, tief in den Schichten der Vergangenheit.)
Wieder ein sehr spannender Bericht, der der Phantasie Flügel verleiht! 🌍