7 Tage, 80 km, 20 Studis, unzählige Steine und noch viel mehr Sand.
[Rätselaufgabe: Wie oft kommt das Wort „Wüste“ in diesem Blogbeitrag vor?]
Für manche war die schon lange angekündigte Wüstenexpedition ein Damoklesschwert, das über unseren gemütlichen Betten im Studienhaus Beit Josef baumelte. Andere konnten es schon gar nicht mehr erwarten und sehnten sich nach Wanderschuhen an den Füßen, Rucksack am Rücken und vor den Augen – mit Ausnahme einer Sonnenbrille - nichts als Wüstenhorizont.
Manche machten den dritten Ausflug zum Outdoorladen, um dort noch ein Trinksystem, eine Wanderhose oder einen Lippenbalsam mit Sonnenschutzfaktor zu erstehen.
Andere begnügten sich mit dem Nötigsten und kramten aus den Tiefen des Expeditionslagers des Studienjahrs noch löchrige T-Shirts, durchgelegene Isomatten und fragwürdig riechende Schlafsäcke hervor.
Wie auch immer die innere Disposition und Vorbereitungsstufe, unser Schicksal ereilte uns alle eines schönen Montags. Um 5 Uhr stiegen wir in den Reisebus, in vollem Bewusstsein, dass dies die letzte Klimaanlage sein würde, die wir in den nächsten Tagen spüren würden. Die Reise führte uns wieder nach Timna, wo uns eine 5-stündige archäologische Führung erwartete und uns die Wunder der Natur und der Menschheitsgeschichte vor Augen führte. Auch wir selbst konnten unsere archäologischen Fertigkeiten unter Beweis stellen, entzifferten Hieroglyphen, krochen durch Minenschächte und datierten eine weggeworfene Thunfischdose unbeirrt auf die frühe oder späte Eisenzeit.
(In der Archäologie lernt man schnell, dass ein Loch nie bloß nur ein Loch ist.)
Nach diesem archäologischen Durchbruch brachte uns der Reisebus an unseren Ausgangspunkt etwas weiter nördlich, in dem Bewusstsein, dass es zwei Tagesstrecken zurück nach Timna sein würden, von wo wir dann weiter ans Rote Meer, etwas südlich von Eilat wandern würden.
Am Ausgangspunkt trafen wir auf unseren Guide Sharon, der, wie wir uns einig waren, Bergziegen-Gene in sich trägt, und der uns zielsicher durch die Wüste führen würde. Wir schlugen unser Nachtlager auf – zuerst nur die Isomatte, und erst kurz vor dem Schlafengehen den Schlafsack, damit sich keine Skorpione hineinverirren.
Schon am ersten Abend zeichneten sich die unverwechselbaren Klänge des Lagerlebens, weit weg von Straßenlärm und Menschenmassen, ab. Leise klapperten die Kochtöpfe, jemand spielte auf der Gitarre, einzelne stimmen in den Gesang mit ein, andere lauschten den Geschichten, die wir uns gegenseitig vorlasen. Über uns nur der Nachthimmel – heller und mit mehr Sternen, als man jemals in bewohnten Gebieten sehen würde. Schließlich schlüpften wir alle in unsere (vor der Wanderung gut ausgelüfteten) Schlafsäcke, um am nächsten Morgen von Sharons sanften Flötenspiel geweckt zu werden.
Nach einer kurzen Nacht schnürten wir unsere Schuhe, sprachen ein gemeinsames Morgengebet und schulterten Rucksäcke, denn wir hatten einen weiten Weg vor uns. Drei Tage laufen, ein Tag Standlager, drei Tage laufen. Das Ziel hielten wir uns dabei deutlich vor Augen: Das Rote Meer, schwimmen, schnorkeln und Eiskaffee.
Bis dahin galt es noch viele Hindernisse zu überwinden: Endlose Wadis (primäre, sekundäre, mit Kies, steinig oder doch mit Sand), trockene Wasserfälle (mit oder ohne Klettergriffen), Dikes (Sandstein, Kalkstein, Granit), steile Anstiege (waren es nun zweieinhalb oder zwei und ein dreiviertel Berge?), und ebenso steile Abstiege. Dabei steter Begleiter: Die Sonne, die Hitze, und die Fliegen. Aber auch: Helfende Hände, guter Humor, geschmolzene Gummibärchen, Lieder und dieser unglaublich schöne Blick in die Täler, entlang der Wadis, und schlussendlich aufs Meer, auf Jordanien, Ägypten und Saudi Arabien.
(Na, wer entdeckt uns?)
(Regelmäßige Dehnübungen und Yogaposen helfen gegen alle möglichen Beschwerden - und verwandeln einen unter Umständen in ein Kamel.)
(Eine weitere Königsdisziplin: Die gemütlichste Position auf einem Steinfeld finden.)
Nach drei Tagen hatten wir uns eine Pause verdient. Das fand auch die Studienleitung, und so schickte sie uns wortwörtlich „in die Wüste“. Einen Tag sollten wir den Wüstenvätern und –müttern nacheifern, uns an einen einsamen Ort begeben und dort bleiben, um zu ruhen, lesen, meditieren und beten.
(Ein bisschen luxuriöser als die Asket*innen des frühen Christentums durften wir es aber schon haben – ich habe zumindest noch nie von einer Wüstenmutter gehört, die eine quietschgrüne Isomatte, Sonnencreme Faktor 50 und eine Einheitsübersetzung der Bibel mithatte.)
So konnten wir noch auf eine etwas andere Art und Weise mit der Landschaft in Kontakt treten, als bloß auf ihr zu treten. Sich Zeit nehmen, die Vögel zu beobachten. Dankbar sein für den Fels und die Akazie, die Schatten spenden. Die feinen Steine durch die Finger gleiten lassen. Nachdenken über die Menschen, die in der Wüste Heimat finden oder gefunden haben, oder für die die Wüste Ort der Verdammung war. Über Jona, der sich über den Rizinusstrauch freut und auf den Fall der Stadt Ninive wartet. Über die Psalmbeter*innen, die ihre Not in der Kargheit der Wüste gespiegelt sehen. Über die Menschen, die in die Wüste kommen, um sich von Johannes taufen zu lassen und ein neues Leben zu beginnen.
Abends kamen wir wieder zusammen und hoben unser Schweigen mit einem gemeinsamen Gebet auf. So vielfältig wie die Menschen in der Gruppe, so vielfältig waren auch die Erfahrungen an dem Tag. Alles löste sich schlussendlich im gemeinsamen Gelächter über unsere etwas schiefe Wiedergabe des Liedes „Lobe den Herrn, meine Seele“ auf. Trotzdem hielt unser Gesang noch eine Weile in die Nacht hinein an, bevor wir uns schließlich in Vorfreude auf den nächsten Tag in unsere Schlafsäcke kuschelten.
Noch drei Tage bis zum Roten Meer. Halbzeit.
Die weiten Wegstrecken in der prallen Sonne machten uns alle auf die eine oder andere Weise zu schaffen. Die einen hatten Blasen an den Füßen, schmerzende Beinen und Sand überall. Andere hatten tiefe theologische Einsichten. So wurde etwa eine Sammlung von sicherlich authentischen Jesus-Worten angelegt, die etwa verlorene Teile der Bergpredigt beinhalteten („Selig die Schwitzenden...“). Oder man stieg in der Hitze der Nachmittagspause noch auf einen weiteren Berg, um dort, wenn schon keine 10 Gebote, wenigstens WhatsApp-Nachrichten zu empfangen. (So in etwa entstanden die 11 Gebote des Studienjahres. Das ist aber eine andere Geschichte.)
Erfreulicherweise schafften wir es aber durch die letzten Tage ohne Religionsabfall a la goldenes Kalb, ohne jemanden als Eremit*in zurückzulassen, ohne hitzebedingte Visionen und auch (fast) ohne apokalyptische Drohreden.
(Zumindest durch unsere Fotopose konnten wir in die Spuren der frühen Pionier*innen treten.)
Schließlich standen wir endlich am letzten Gipfel und unter uns breitete sich das Rote Meer aus. Wir hatten es geschafft, trotz aller Wehwehchen, Motivationslöcher und drei Stück auseinanderfallenden Wanderschuhen. Vor uns ebnete sich schon quasi der Weg, die Schluchten füllten sich auf, jeder Berg und Hügel senkte sich, und wir taten die letzten Schritte fast wie von Engeln getragen, bis zu den kühlen Wogen des Wassers.
(Der letzte Gipfel)
(Die letzten Meter zum Meer)
Und so endete unsere Wüstenexkursion, deren Anstrengungen und Herausforderungen im Vergleich zu den Wundern der Natur, an denen wir in jenen Tagen teilhaben durften, verschwimmen. Liebe Studis, wir können stolz auf uns sein.
„Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne, bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder; aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht.“
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