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AutorenbildMaria Brader

"Holy Week" im "Holy Land"

Ostern – Pessach – Ramadan. Diese Wochen im April haben es in sich: Die drei großen monotheistischen Weltreligion feiern ihre heiligen Tage – und das am besten in Jerusalem.


Schon seit einigen Wochen schmücken dir Ramadan-Lichter den östlichen Teil der Stadt. In den muslimischen Bäckereien duftet es nach Ramadan-Süßigkeiten und das Beste daran ist, dass wir als Christ*innen auch nicht den ganzen Tag fasten müssen, um sie dann abends zu genießen. Leider verlaufen die Feiertage nicht immer friedlich – gerade in den letzten Wochen spürt man auch die Spannung, brodelnd unter der Oberfläche und gelegentlich ausbrechend, wie auch zuletzt in der Al-Aqsa-Moschee. Auch auf den Straßen bekommt man diese Spannung manchmal zu spüren, doch viel mehr spürt man die noch unterdrückte Vorfreude und Aufregung auf die jeweiligen Festtage hin. So ziehen Scharen von muslimischen Beter*innen zum Felsendom, die jüdischen Verkäufer*innen machen ihre Läden dicht und schließen sich stattdessen einer Gruppe an, die Klezmer (jüdische Volkmusik) spielt, und die christlichen Gemeinden und Pilger*innen sammeln sich bei Betfage am Ölberg, um von dort aus in einer schier endlosen Prozession nach Jerusalem hineinzuziehen – und wir sind mittendrin. Ausgerüstet mit meterhohen Palmzweigen, Liederzetteln und Gitarre schließen wir uns dem Strom an und tanzen und singen unseren Weg in die Stadt – mit ungefähr sechs Stücken Liedmaterial für die 2.5 Stunden, aber dafür haben wir die sechs Lieder dann auch richtig drauf.













(Aufmerksame Kirchenzeitungsleser*innen finden dieses Bild vielleicht in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung. Ansonsten hier ein Link: https://www.kirchenzeitung.at/site/kirche/weltkirche/theologiestudierende-in-jerusalem-lernen-am-berg-zion )


Mittwoch morgens raucht und stinkt es in Jerusalem. An jeder Ecke brennen Lagerfeuer, hier verbrennen Juden und Jüdinnen die Lebensmittel, die sie über Pessach nicht im Haus haben dürfen, und die nicht gespendet wurden oder gespendet werden konnten. Wir spazieren durch das ultraorthodoxe Viertel Mea Shearim – hier fallen wir heraus wie bunte Hunde. Schaulustige werden hier oft nicht so gerne gesehen, aber wir halten Abstand und beobachten das Schauspiel: Spielende Kinder in brennenden Containern, hohe, stinkende Plastikfeuer, um die herum die Scharen stehen und beten.





Abends sind eine Kommilitonin und ich zum Seder-Abend („Erev Pessach“, der Vorabend zum Pessachfest, bei dem der Befreiung der Israelit*innen aus der ägyptischen Sklaverei gedacht wird) bei einem älteren jüdischen Ehepaar eingeladen – oder eigentlich einem jungen Ehepaar, wie die beiden augenzwinkernd erzählen, denn sie kennen sich erst seit sieben Jahren.

Shulamit und Avi wohnen in Neujerusalem und haben es sich zur Tradition gemacht, zum Shabbat-Abend und eben auch zu den hohen jüdischen Feiertagen internationale Gäste einzuladen: Studierende, Volontär*innen, Gastarbeitende oder auch Langzeittourist*innen. Knappe 20 Gäste haben in dem kleinen Häuschen Platz, an diesem Abend sind insgesamt 10 Nationen vertreten und sowohl Muslim*innen, Christ*innen und Jüd*innen anwesend.

Als wir durch die Tür hereinkommen, fühlen wir uns sofort wohl – artig geben wir unsere Gastgeschenke, koschere Kekse und Frühlingsblumen, ab und wir quetschen uns zu unseren Sesseln durch, an den ausladenden Tisch, der mit allerlei unterschiedlichen Speisen gedeckt ist. Ein Stapel Bücher wird durch den Raum gegeben, jede*r darf sich eine Haggadah („Bedienungsanleitung“ oder Handlungsanweisung für die Seder-Zeremonie) in einer Sprache, die er*sie versteht, nehmen. Wir erwischen noch eine hebräisch-englische 3D-Brillen-Ausgabe, die allerdings wahrscheinlich eher für Kinder gedacht ist…







Nun sind alle angekommen, mit einer Haggadah versorgt, und der Seder-Abend (den wir in etwas gekürzter Fassung feiern) kann beginnen. Dazu spricht Avi den Segen über den Weinbecher und trinkt ihn. Danach werden zwei Schüsseln durchgegeben und wir waschen uns die Hände.

Am Seder-Abend werden bestimmte Speisen gegessen, die an bestimmte Aspekte der Sklaverei in Ägypten bzw. der Befreiung erinnern. Zuerst taucht man Gemüse in Salzwasser, das die Tränen der Israelit*innen in Ägypten repräsentiert (wir bekommen dafür Radieschen). Dann wird Matzah, das ungesäuerte Brot, gebrochen und ein Stück gegessen, wie es in Ex 12,14 befohlen wird. Die zweite Hälfte werden wir im Laufe des Abends verstecken, wie es sonst die Kinder des Hauses machen, um dem Hausherrn alle möglichen Versprechen zu entlocken und Geschenke zu bekommen.

Nun geht es ans Eingemachte – die Schnapsgläser werden ausgeteilt. Wir füllen sie aber nicht mit Schnaps, sondern mit Wein, Avi liest weiter vor und nennt die 10 Plagen, und bei jeder Nennung schütten wir etwas unseres Weins auf das Teller: Blut. Frösche. Ungeziefer. Wilde Tiere. Viehseuche. Blattern. Hagel. Heuschrecken. Finsternis. Sterben der Erstgeborenen.


Für was die Frühlingszwiebeln sind, die am Tisch stehen? Dahinter steckt eine persische Tradition, erklärt uns Shulamit, und drückt jedem*r von uns eine in die Hand. Sie stimmt ein Lied an und fordert uns pantomimisch auf, uns gegenseitig damit zu schlagen. Zaghaft und leicht verwirrt stimmen wir in das Lied (das wir vorher fleißig mit der Hilfe von Youtube geübt hatten) ein und tapsen uns etwas hilflos mit den Frühlingszwiebeln an.

„You are like slaves in Egypt!“, ruft uns Shulamit mit ihrem hebräischen Akzent zu und rudert mit den Händen, um uns anzufeuern. Wir singen etwas selbstbewusster und kichern etwas nervös vor uns hin, langen aber dennoch schon etwas fester an und schon fallen die ersten richtigen Schläge. „Remember, you are slaves!“, erinnert uns Shulamit und nun geht es kreuz und quer, über den Tisch hinweg, und wer sich noch nicht vor Lachen biegt entkommt vielleicht auch noch der einen oder anderen Frühlingszwiebel

So werden aus Fremden Freund*innen, zumindest für den Abend, vielleicht auch darüber hinaus. So skurril diese Tradition aus scheint, so schnell wurde wohl noch nie das Eis gebrochen. Nun geht der Abend munter weiter. Wir essen die restlichen traditionellen Speisen (außer das Fleisch, denn die Gastgeber*innen sind Vegetarier*innen) und dann beginnt auch schon das „reguläre“ Abendessen, alles von Shulamit höchstpersönlich zubereitet.

Während wir so sitzen und plaudern, erzählt Shulamit, dass sie ultraorthodox aufgewachsen ist. Weil sie aber ins Gymnasium gehen wollte, sei sie zu ihrer Tante gezogen, um näher an der Schule zu sein. Diese Tante habe immer offene Türen gehabt, jede*r sei willkommen gewesen. Im Andenken an sie hält Shulamit auch heute ihre Türen offen – es sei für sie das natürlichste der Welt, ihre vier Wände zu teilen, erklärt sie gestikulierend: Für was habe sie denn diesen Raum, wenn sie keine Gäste einladen könne.

Ich war tief beeindruckt von den beiden, ihrer Gastfreundschaft, ihrer Herzlichkeit und der Selbstverständlichkeit, mit der sie Fremde in ihr Haus einladen. Begegnungen wie diese haben dieses Jahr in Jerusalem für mich zu etwas ganz besonderem gemacht und ich bin dankbar für all die Menschen, denen ich begegnen durfte und die ein Stück ihres Lebens mit uns und mir geteilt haben.






Am Donnerstag darauf beginnen auch für uns die großen Feierlichkeiten. Nachmittags versuchen wir, in den Abendmahlsaal, der ja schließlich in der unmittelbaren Nachbarschaft der Dormitio ist, zu kommen, um dort mit den Franziskanern Messe zu feiern, doch wir schaffen es nicht einmal die Tür hinein, so voll ist es. Wir stehen also auf dem Gang vorne und versuchen, etwas von der Messe aufzuschnappen. Von unten weht der Gesang einer Pilgergruppe herauf und wir genießen die Sonne ein wenig, bevor wir aufgeben und umdrehen.

Abends feiern wir Gottesdienst in der Kirche der Dormitio Abtei. Der Kirchenraum ist zwar noch nicht ganz fertig, aber spätestens jetzt, nach der Altarweihe etwas zuvor, freuen wir uns ganz besonders darüber, im Kirchenraum feiern zu können, und nicht „nur“ unten in der Krypta.

In diesem besonderen, wunderschön gestalteten Kirchenraum findet auch die Liturgie, die in benediktinischer Manier sehr feierlich ausfällt, auf neue Art und Weise Ausdruck. Rund um uns flackern die zwölf Apostelkerzen, als zwölf aus der Gemeinde, darunter einige von uns Studierenden, ihren Weg nach vorne machen zur Fußwaschung.


Am Ende des Gottesdienstes begleiten wir das Allerheiligste nach unten in die Krypta. Dort wird es auf den Pfingstaltar gestellt, der mit Olivenbaumzweigen geschmückt ist. Langsam leert sich der Raum. Zu dritt bleiben wir zurück, bis auch hier die Kerzen gelöscht werden.




Ich selbst habe es an diesem Abend nicht mehr nach Getsemani geschafft, von wo aus eine Prozession nach Galli Cantu ging, dem Ort, an dem Petrus Jesus verraten hat. Trotzdem möchte ich euch einige Einblicke hier nicht verwehren und darf ein paar Fotos mit euch teilen:












Karfreitag. Frühmorgens machen wir uns auf zur Grabeskirche, doch wir haben Pech: Nur eine Barrikade wird geöffnet um Beter*innen hereinzulassen, und wir stehen ausgerechnet an der falschen. So schlagen wir den Weg zur Via Dolorosa ein und beschließen, einen Kreuzweg zu beten. Wir beginnen an der ersten Station, wo uns einer der Händler in die Schule lässt, um quasi „am richtigen Ort“ zu beginnen. Von dort aus haben wir einen wunderschönen Blick auf den Felsendom, den wir einige Minuten genießen, bevor wir beginnen.

Und so „beten“ wir unseren Weg entlang der Via Dolorosa. Leider ist heute so ein Tag, an dem die Spannungen in der Stadt ihren Weg an die Oberfläche finden: Wir werden angerempelt und auch angepöbelt, und so sehr unser kleiner Kreis im Gebet eine Welt für sich darstellt, so sehr sind wir auch Teil der wogenden Maße. Als wir an den letzten Stationen des Kreuzweges ankommen, sind diese gesperrt – angeblich als Sicherheitsmaßnahme. Wir sind uns darüber einig, dass das etwas seltsam ist – sind doch diese Straßen zu weit von der Grabeskirche entfernt, als dass sie wegen der Zeremonie abgesperrt werden müssten, wie uns der Soldat erklärt. So beten wir die letzten Stationen an einer Ecke in einem der Suqs, es stinkt nach Urin.

Ich kann abschließend nicht sagen, ob der Kreuzweg eine gute oder eine schlechte Erfahrung war. Er hat auf jeden Fall aufgezeigt, wie selbstverständlich unser Glauben für uns selbst ist, während er von anderen als seltsam oder sogar anstößig empfunden werden kann. Und er hat gezeigt, wie wertvoll es ist, ungestört seine Religion ausüben zu können – ist diese Erfahrung, die wir hier gemacht haben, nicht wirklich schlimm im Vergleich zur Verfolgung, die andere für ihren Glauben erleiden.


Auch Karfreitag nehme ich am Gottesdienst in der Dormitio Teil. Es ist ein beeindruckendes Bild, wie die Mönche der Abtei einziehen und sich vor den Altarstufen hinlegen. Für einen Augenblick ist es so ruhig in der Kirche, dass man die Stille fast mit den Händen greifen kann.

Der Gottesdienst nimmt seinen Lauf und zur Kreuzesverehrung singen wir mit der Schola „Hagios ho Theos: Oh du mein Volk“, dass wir schon länger geprobt hatten (und dabei gebangt hatten, dass P. Simeon, der unsere Schola leitet, uns nicht überschätzt).

Besonders schön war für mich auch, dass ich einen Brauch aus meiner Heimat mit den anderen Studierenden teilen konnte: Zur Kreuzesverehrung bringen wir Blumen mit und legen sie beim Kreuz nieder.








Abschließend begleiten wir das Kreuz in die Krypta, wo ein „Grab“ vorbereitet wurde.

So treten wir in die Stille des Karsamstags ein – fast.





Abends mache ich mich noch auf den Weg zur Grabeskirche. Dieses Mal schaffe ich es ohne Probleme, hineinzukommen, doch Teil der Prozession zu sein gestaltet sich schon schwieriger. Das Prozessionsheft in der einen, die Kerze in der anderen Hand stehe ich ganz weit hinten im Zug, sehe nichts und höre kaum etwas. Suboptimal. Also gebe ich auch dieses Mal auf und nehme den Weg hinten rum, um nachhause zu gehen.

Als ich beim Grab vorbeikomme, steht dort fast niemand. So schlüpfe ich an den orthodoxen Mönchen, die ausnahmsweise sehr wohlwollend wirken, vorbei hinein in das Grab – um ganz kurz zu verweilen, einen kleinen Augenblick, bevor das Grab für den Patriarchen, der die Prozession leitet, geräumt wird.


Wenn auch der Rest der Kirche so leer wäre…. Ich quetsche mich durch die Massen hin zum Ausgang und komme beim Salbungsstein zum Stehen: Die Türen sind geschlossen, mindestens eine halbe Stunde, bis die Prozession am Salbungsstein vorbeigekommen ist. Etwas unglücklich über die Gesamtsituation, bei der ich das Gefühl einer Sardine in einer Sardinendose lebhaft nachempfinden kann, versuche ich mich mit meinem Schicksal abzufinden, noch eine halbe Stunde inmitten einer spanischen Jugendgruppe festzustecken. Während ich mich noch so frage, wohin denn meine schulischen Spanischkenntnisse verschwunden sind, zückt die junge Frau vor mir ihr Handy und macht kurzerhand den Livestream an. So können wir miterleben, was oben auf Golgota geschieht: Die Jesusfigur wird vom Kreuz abgenommen und die Arme eingeklappt. (Mir drängt sich der Vergleich mit einer Barbiepuppe auf – man verzeihe mir.) Dann beginnt die Prozession nach unten, doch um das mitzukriegen brauche ich keinen Livestream, denn vor mir werden wie wild die Handys, GoPros und Kameras gezückt. Die etwa kleinkindergroße Jesus-Barbie-Puppe (wieder, man verzeihe mir den Vergleich) wird auf den Salbungsstein gelegt und dort beträufelt. Schließlich wird weiterprozessiert und die Türen gehen auf – so mache ich mich auf den Weg zurück, ohne die Grablegung abzuwarten. Ich hatte schon genug gesehen, und einiges davon erschien mir nun doch etwas wunderlich. So sind wohl die Selbstverständlichkeiten des Glaubens und der Frömmigkeit, wenn man sie nicht kennt und wie von außen beobachtet.



Ostersonntag. Es ist halb vier morgens und wir haben dreieinhalb Stunden Liturgie hinter uns, und weitere eineinhalb vor uns. Doch erst brechen wir das Fasten – mit jede Menge Gummibärchen, -schlangen, -krokodile, -und-sonstiges-Zeugs, in allen Farben und Formen.





Die Armeen aus Gummibärchen Die Panzer aus Marzipan Kriege werden aufgegessen Einfacher Plan Kindlich genial“

(Herbert Grönemeyer)


Damit hat uns P. Basilius aus der Osternacht entlassen. Dagegen haben wir nicht einzuwenden und futtern uns durch die Gummiberge, während wir die letzten Stunden noch einmal Revue passieren lassen. Viele von uns hatten sich in der Liturgie engagiert – als Lektor*innen, Kantor*innen, und Ministrant*innen. Gerade gegen Ende des Studienjahres war es für mich nochmal sehr berührend, zusammen dieses hohe Fest zu feiern, und schließlich gemeinsam in die Osterfreude einzutreten: Christus ist auferstanden!









Nach dem Hochamt am Ostersonntag essen wir gemeinsam mit den Mönchen zu Mittag. Wie es so ist, geht das Mittagessen in einen gemeinsamen Nachmittag über und schließlich sitzen wir Studis mit unserer Dekanin Johanna und unseren Assistentinnen Miriam und Annika (liebevoll „Assis“ genannt) bei Tisch, alle angeheitert vom vielen Zucker oder vom einen oder anderen Schnaps oder Weinglas, und lesen einander Kapitel aus einem Buch über Jerusalem vor, das man getrost als Schundliteratur bezeichnen kann.



(Unsere Köche haben sich alle Mühe gegeben, uns ein schönes Fest zu bereiten, und auch das Haus wurde festlich geschmückt.)


Gerade an diesen letzten Nachmittagen und Abenden miteinander wird spürbar, wie sehr wir als Gemeinschaft gewachsen sind – diese Freundschaften sind ein wichtiger Teil der Studienjahres für mich und ich hoffe, dass viele von ihnen noch lange bleiben.


Montags wandern wir dann nach Emmaus Al-Qubeiba, wo uns die Salvatorianerinnen und Franziskanerinnen herzlich empfangen. Gemeinsam feiern wir Messe und dann geht es mit dem Bus zurück ins regnerische Jerusalem!






Damit geht meine Zeit in Jerusalem nun endgültig zu Ende. Die restliche Zeit werde ich in Galiläa verbringen und das Studienjahr so noch ausklingen lassen.




Bonusfoto: Orthodoxer Karfreitag.







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